Plädoyer für Europa

 

Wir sehen gerade, dass die Euphorie für die Europäische Union merklich abnimmt. Einzelne Staaten, vor allem deren politische Parteien und Politiker, vermitteln den Eindruck, als sei die Europäische Union am Ende und eine Auflösung in Nationalstaaten stünde bevor. Dies scheint aber nicht der Wille der Mehrheit aller Menschen in Europa zu sein. Warum kommt es dann zu solchen Auflösungserscheinungen? Offensichtlich haben wir die Gestaltung Europas viel zu lange denjenigen überlassen, die glauben, mit Gesetzen und Verordnungen könne man erreichen, dass sich die Menschen in Europa als eine Einheit verstehen.

 

Damit Menschen sich als eine solche Einheit verstehen können, bedarf es aber zunächst einer emotionalen Einheit. Menschen, die ihre Sorgen und Nöte aber auch ihre Euphorie und ihre Gefühle austauschen wollen, brauchen dafür eine gemeinsame (Mutter-) Sprache. Man stelle sich vor, ab der ersten Klasse der Grundschule lernen alle Kinder in Europa eine einheitliche Sprache (z. B. Esperanto). In vielleicht fünfundzwanzig Jahren fände ein emotionaler Transfer statt, wie man ihn mit keinem Gesetz und keiner Verordnung ähnlich erreichen könnte. Ja, über Generationen gingen eventuell nationale Sprachen unter. Was soll's? Latein, Altgriechisch oder Mittelhochdeutsch spricht heute auch keiner mehr.

 

Um Menschen emotional zu erreichen muss man etwas für Menschen tun. Die heutige Europäische Union stellt sich aus Sicht der Menschen eher als Vorschriftengeber dar. Vorschriften, an die sich möglichst alle zu halten haben. Das ist sicherlich für ein funktionierendes Gemeinwesen auch erforderlich, wird aber durch den Einzelnen offensichtlich nur dann akzeptiert, wenn auch er persönlich etwas davon hat. Warum ist die Ausbildung von jungen Menschen und die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit keine europäische Aufgabe? Warum sorgt nicht die Europäische Union dafür, dass jeder junge Mensch in Europa einen Ausbildungsplatz garantiert bekommt? Warum sorgt nicht die europäische Union dafür, dass auch Praktika ordentlich bezahlt werden müssen und stellt Regeln auf, nach denen es nicht mehr möglich ist junge Menschen auszunutzen, weil sie bereit sind ihr Können auch ohne Bezahlung unter Beweis zu stellen? Warum ist es der europäischen Union nicht möglich darüber zu bestimmen, wo Arbeitsplätze entstehen sollen, um strukturschwache Gebiete voranzubringen?

 

Menschen, die spüren, dass konkret für sie Verbesserungen organisiert werden, Menschen, die diese Verbesserungen auch in ihrem Alltag spüren, sind sicherlich eher bereit zu akzeptieren, dass Vorschriften erforderlich sind, an die sie sich halten müssen. Menschen, die spüren, dass sich ihre Lebensverhältnisse verbessern, müssen keine radikalen Parteien wählen.

Es liegt an uns, eine Veränderung der Verhältnisse zu organisieren. Mit der derzeitigen Europäischen Union ist das sicherlich nicht möglich. Ein Verbund, indem jeder nur auf seine Vorteile bedacht ist und der Entscheidungen nur einstimmig herbeiführen kann, wird sich nicht entwickeln können, weil jeder einzelne die Entscheidungen verhindern wird, die seine Vorteile beschneiden würden. Auch die Europäische Gemeinschaft bräuchte eine neue Verfassung, die den Anforderungen an eine demokratische Gesellschaft entspricht. Diese Verfassung hätte das Wohl des einzelnen Menschen vor Augen und nicht den Vorteil einzelner Mitgliedstaaten. Mitglieder können nur solche Staaten werden, die diese Verfassung anerkennen. Selbstverständlich können Mitglieder ausgeschlossen werden, die sich dieser Verfassung nicht mehr verpflichtet fühlen. Geht nicht? Man stelle sich vor nur Frankreich und Deutschland würden den Verbleib in der Europäischen Union von einer solchen Verfassung abhängig machen. Wie würden sich andere Mitgliedsstaaten dann verhalten?

 

Um Veränderungen von solchen Ausmaßen voran zu bringen bedarf es starker Kräfte. Es bedarf eines starken Staates, der in der Lage ist, die sich ergebenden Probleme zu schultern aber sich auch als Gleicher unter Gleichen in die Gemeinschaft einzubringen. Warum sollte das nicht als Staatsziel in einer nationalen Verfassung verankert sein? Neue (alte) Partner, die bereit wären das selbe zu tun, ließen sich in Europa sicherlich finden.